Der Kuchen wird neu verteilt

Söder begrüßt Harris zur Sicherheitskonferenz am Münchner Flughafen.

Von Avatis Serkassian

Auf der Münchener Sicherheitskonferenz feilen westliche Wirtschaft und Politik gemeinsam mit dem Militär an der neuen Weltordnung

…[Wir] haben keine andere Wahl, als mehr in Verteidigung und militärische Abschreckung zu investieren und gleichzeitig das Streben nach gegenseitigem Vorteilen stärker auf politisch gleichgesinnte Staaten zu beschränken“ (aus: Lose-Lose? Munich Security Report 2024)

Seit 60 Jahren treffen sich alljährlich führende politische, wirtschaftliche und militärische Akteure der NATO Staaten und ihrer Verbündeten im Rahmen der Münchener Sicherheitskonferenz (MSC). Neben einer langen Liste von Sponsoren und Partnern wie Bayer, Allianz, Siemens Energy, Airbus, BP oder Rheinmetall, beteiligen sich auch mehrere Bundesministerien und das Land Bayern an den Kosten.

Damit sich die Gäste drei Tage lang im Hotel Bayerischer Hof in aller Ruhe mit Lobbyorganisationen und Thinktanks wie die Atlantik Brücke oder dem Atlantic Council austauschen können, sind zur Sicherheit der MSC bis zu 3.500 Polizisten im Einsatz. Denn die MSC bildet einen sehr relevanten Eckstein der sicherheitspolitischen Strategiefindung der NATO-Staaten.

In diesem Jahr fand die MSC vom 16.-18. Februar mit etwa 450 Gästen statt. Die Diskussionsgrundlage und Themensetzung der Konferenz lässt sich im Security Report mit dem Titel „Lose-Lose?“ finden. Politischer Ausgangspunkt des Reports ist die zweite „Zeitenwende“, die mit dem Ukraine-Krieg beginnt und für die Autoren das Ende der Ära der ersten „Zeitenwende“, die Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, einläutet.

Alte Blöcke, neue Blöcke

Es wird einer Zeit der regelbasierten Weltordnung nachgetrauert, in der angeblich die ganze Welt von den Gewinnen der Globalisierung profitiert hätte und die Demokratien auf dem Vormarsch waren. Verkleidet hinter diesen üblichen Phrasen, spricht die tiefe Besorgnis darüber, dass sich die Ära des unangefochtenen Wütens des US-geführten Imperialismus einem Ende zuneigt und sich innerimperialistische Verteilungskämpfe einer neuen Qualität abzeichnen.

China, Russland und einige aufstrebende BRICS-Staaten bilden die zentrale Bedrohung, denn sie wollen ihren „Anteil am Kuchen“ vergrößern. Aber auch einige Akteure im globalen Süden, die sich nicht uneingeschränkt zur westlichen Herrschaft bekennen, werden zum Teil des Problems. Natürlich sehr zum Bedauern der Autoren, die den „Kuchen“ als ein Vorrecht der USA und Europas begreifen, während sie die Krümmel dem globalen Süden als Fortschritt und Entwicklung verkaufen wollen.

In sieben Unterpunkten werden zentrale geopolitische und ökonomische Tendenzen der sich ausweitenden Verteilungskämpfe thematisiert und Gegenmaßnahmen herausgearbeitet:

  1. Russland und der Ukraine-Krieg
  2. China und die Entwicklung im Pazifik
  3. Naher Osten und der Gaza-Krieg
  4. Sahelzone der Putsch im Niger
  5. Handelskriege und wirtschaftliche Entkopplung
  6. Klimawandel
  7. Technologische Entwicklung

Die zentrale Gegenstrategie ist dabei de facto die Verstärkung der Blockbildung, um die bestehenden Einflusssphären zu schützen und zu erweitern. So wird nicht nur von langfristigen finanziellen und militärischen Unterstützungen sowie Garantien für die Ukraine gesprochen, sondern auch eine konkrete Expansion der EU und der NATO in die bestehenden Pufferstaaten um Russland herum vorgeschlagen. Im Fokus stehen hier aktuell insbesondere Moldawien, Georgien und Serbien. Die Blockbildung geht aber über die Stärkung der Bereitschaft zur Konfrontation mit Russland oder den aufkommenden Diskussionen zu einer europäischen Atombombe weit hinaus.

Untertitel (Globaler Süden?)

Insbesondere für die Länder des globalen Südens hat sie weitreichende Konsequenzen. Am Beispiel der Sahel-Region ist die Sorge über das Scheitern der eigenen imperialistischen Politik und dem Verlust der Einflusszonen spürbar. Zum einen erschwert der militärische Rückzug Frankreichs aus der Region kurzfristig den Zugriff auf die Bodenschätze und die Kontrolle über die Migrationsströme. Zum anderen besteht die Gefahr, dass eine mögliche Allianz zwischen Mali, Burkina Faso und Niger langfristig die gesamte Machtbalance der Region verändert.

Die Sorge, dass Russland davon profitieren könnte, ist groß. Das Blockdenken – was abgelehnt wurde, solang es zum eigenen Vorteil war – führt dazu, dass der globale Süden trotz der drakonischen Ausbeutung ihrer Bodenschätze und ihrer Arbeitskraft in den goldenen Zeiten des Neoliberalismus, auch jetzt dazu aufgefordert wird, sich dem US-geführten Imperialismus unterzuordnen. Jeder geringste Ansatz, zwischen den neu entstehenden Blöcken eine relative Eigenständigkeit zu erreichen, ist zu unterlassen und wird brutal sanktioniert.

Untertitel (China? Friend shoring)

Die Thematik der Blockbildung erstreckt sich aber vor allem auf die umfassende Eindämmung von China als primäre rivalisierende imperialistische Kraft. Im Pazifik sollen unter japanischer Führung Bündnisse angestrebt werden, die einer Erstarkung Chinas entgegentreten. Unterdessen stärken die Philippinen, Südkorea und Indonesien ihre militärische Kooperation mit den USA weiter.

Dem chinesischen Konzept von „Von und für Asien“ steht das amerikanische Konzept vom „freien und offenen Indo-Pazifik“ entgegen. In anderen Worten geht es hier um den Erhalt und die Expansion der amerikanischen Einflusssphäre bis an die chinesische Grenze. Analog zu dieser Umstellung werden strategische Schritte für die Entkopplung von China thematisiert.

Die Rede ist von sicheren Wirtschaftsbeziehungen in verbündeten Staaten anstelle von profitableren Wirtschaftsbeziehungen zu den Gegnern. Die Entflechtung der ökonomischen Interdependenz von nicht verbündeten Ländern und die Verlagerung von Versorgungs- und Handelsketten in befreundete Staaten ist ein sogenanntes „friend shoring“.

Die Dynamik der globalen Ökonomie bewegt sich dadurch weiter weg vom hoch gepriesenen freien Markt hin zu einer neuen Art von Blockprotektionismus. In dieser Ausrichtung ist zum einen die Frage der Rohstoff- und Energieautarkie wichtig, zum anderen aber auch die Frage um Zugang und Entwicklung neuer Technologien. Ein ganzes Kapitel des Security Reports ist den neuen Technologien AI und der Halbleitertechnologie gewidmet.

Mit Samsung (Südkorea) und TSMC (Taiwan) liegt die gesamte weltweite Produktion von Halbleiterchips in unmittelbarer geographischer Nähe zu China. Eine Verlagerung der Produktion nach Europa (siehe European Chips Act) wird aber nur ein Teil des Problems lösen, da der Großteil der weltweiten Gallium- und Germanium-Bestände in China selbst liegen.

Untertitel fehlt

Dem US-geführten Block stehen harte Zeiten bevor. Aber auch für China, Russland oder Indien ist die erfolgreiche Behauptung in den anstehenden innerimperialistischen Verteilungskämpfen alles andere als sicher. In imperialistischer Manier ist das Gebot der Herrschenden immer mehr: „Entweder gewinnen wir oder niemand darf gewinnen.“ Klar bleibt jedoch, dass jedes Szenario zum Nachteil des Großteils der Menschheit sein wird. Und wenn es heute noch sehr fern scheint, ist dennoch klar, dass nur der organisierte Kampf der werktätigen Massen weltweit uns aus dieser Misere der Wahl zwischen Pest und Cholera befreien kann.