Der vergessene Krieg in Artsakh

Vereint im Kampf gegen Armenien: Türkei und Aserbaidschan

Von Jeanne Masuma

Wie Aserbaidschan mit Hilfe anderer Staaten erneut die Armenier vertreibt.

Der jahrzehntelange Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach, auch bekannt als Artsakh, erfuhr im September 2023 eine Eskalation von nie dagewesenem Ausmaß. Die Region, welche zur überwältigenden Mehrheit von Armenier:innen bewohnt wurde, befand sich seit 1922 unter aserbaidschanischer Besatzung. Indigene Armenier:innen waren hier Massakern und Deportationen ausgesetzt. Nach Zusammenbruch der Sowjetunion und jahrelangem bewaffneten Widerstand wurde im Jahr 1994 die unabhängige Republik Artsakh durch die in Bergkarabach ansässigen Armenier:innen erklärt.

2020 brach Aserbaidschan das Waffenstillstandsabkommen von 1994 und begann eine militärische Offensive gegen die Republik Artsakh. Diese startete zunächst mit einer neunmonatigen Blockade und löste so eine humanitäre Notlage aus. Nachdem diese Taktik nicht dazu führte, dass die Armenier:innen die Region verließen, ging die aserbaidschanische Aliyev-Diktatur über zu roher Gewalt durch anhaltende Bomben- und Drohnenangriffe. In der jüngsten Offensive gelang es Aserbaidschan, die Republik Artsakh einzunehmen und einen militärischen Sieg über Armenien zu erringen, nachdem dessen ehemalige Schutzmacht Russland sich zuletzt nicht mehr in den Konflikt einmischte. Dies hatte die Vertreibung der Bevölkerung Artsakhs nach Armenien und so die, von Aserbaidschan angestrebte, ethnische Säuberung der Region zur Folge.

Für das armenische Volk bedeutet die erneute Vertreibung, Enteignung und Gewalt ein traumatisches Wiedererleben des an ihnen zwischen 1915 und 1923 verübten Genozids durch türkische Nationalisten. Formell wurde die Republik Artsakh zum 1. Januar 2024 aufgelöst. Aserbaidschan erklärte die im Zuge der jüngsten Eskalation verübten Kriegsverbrechen als legitim und verlässt sich auf die schweigende Akzeptanz der internationalen Gemeinschaft, welche die Republik Artsakh nie anerkannt hatte.

Auf die Deckung seiner Kriegsverbrechen durch Staaten wie Deutschland kann sich Aserbaidschan umso mehr verlassen, seit es durch den Ukrainekrieg als Alternative zu Russland, zum strategischen Partner der EU für Gaslieferungen aufgestiegen ist. Das beweist einmal mehr, dass für einige Staaten Völkerrecht nur relevant scheint, wo es um die Durchsetzung der eigenen geopolitischen Interessen geht.

Aserbaidschan konnte die ethnische Säuberung Bergkarabachs nur mit der Unterstützung seiner engen Partner Türkei und Israel durchführen. Von ihnen, sowie aus der EU und Russland importierte Aserbaidschan zwischen 2010 und 2020 Waffen im Wert von 26,2 Milliarden Dollar, welche die Grundlage für den aktuellen Krieg bildeten. Aserbaidschan liefert 40 Prozent seines Öls an Israel. Israel belohnte den staatlichen Ölkonzern Aserbaidschans mit Verträgen zur Gas- und Ölexploration vor der Küste Gazas. Im Gegenzug stellt Aserbaidschan dem Mossad Stützpunkte für Operationen im Iran zur Verfügung.

Trotz der Kapitulation Armeniens ist der Konflikt nicht beendet, da Aserbaidschan nun auch die südliche Provinz Armeniens beansprucht. Dieser erneute Drang nach Expansion ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass es in Artsakh eine ethnische Säuberung ohne Konsequenzen vollziehen konnte. Auch der derzeit andauernde, von Israel ohne Hindernisse verübte Genozid in Gaza, bietet diesbezüglich Inspiration für den Diktator Aliyev. Dennoch wäre das eine weitere Steigerung zum Überfall auf Artsakh, da ein solcher Vorstoß Aserbaidschans die international anerkannten Grenzen Armeniens verletzen würde.

Mit der Auflösung der Republik Artsakh wurde armenisches Leben auf dem Gebiet fast vollständig ausgelöscht. Für die massenhaft Vertriebenen bleibt nur die Hoffnung, in ihre besetzte Heimat zurückkehren zu können. Artsakh demonstriert, dass die Kämpfe um Selbstbestimmung und das Recht auf Rückkehr nicht isoliert betrachtet werden dürfen. Der Kampf ist international und gilt der Besatzung und Landraub, dem Faschismus und dem Imperialismus – von Palästina und Kurdistan bis nach Artsakh.